Emergente Physik
Hier ist wirklich mal ein aussergewöhnlicher Physiker, dermir aufgrund seiner unkoventionellen provokativen Weise echt sympathisch ist: Robert Laughlin, 57, Professor in Stanford, Nobelpreisträger in Physik. Also kein Quacksalber. In einer Prüfung stellte er einem Studenten folgende Frage: “Was würde passieren, wenn ein Student von einem 56.000 km/h schnellen Rostbraten getroffen würde?” Das hier scheint einer der ganz wenigen wirklich neutralen Wissenschaftler zu sein, die ideologiefrei an die Wissenschaft herangehen.
In Spiegel-Online gibt er ein sehr interessantes Interview, daraus ein paar weitere Aussagen von ihm, die ihn mir sympathisch machen:
Laughlin: Die Leute reden nun mal gern von neuen Zeitaltern oder gar vom Ende aller Wissenschaft. Dass eine solche Vorstellung überhaupt aufkommen konnte, liegt an einer irreführenden Ideologie, derzufolge nur diejenigen Gesetze wirklich zählen, die grundlegend, irgendwie fundamental sind. Und das ist im Kern eine religiöse Idee.
SPIEGEL: Was genau? Die Idee, dass es ein ultimatives, letztes Gesetz, eine Art Weltformel geben müsse?
Laughlin: Exakt. Bei uns im Westen ist diese Idee ideologisch tief verwurzelt - ganz anders als im Fernen Osten übrigens. Derart tiefe kulturelle Wurzeln färben das gesamte Denken ein. Sie lassen uns Dinge als offensichtlich wahrnehmen, die keineswegs offensichtlich sind.
SPIEGEL: Was heißt dies für das Phänomen der Emergenz?
Laughlin: Nun, in unseren westlichen Köpfen treffen wir eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen fundamentalen Naturgesetzen, die schlicht da sind - und denen, die aus anderen hervorgehen. Dabei vergisst man, dass es keinerlei experimentelle Hinweise auf einen solchen Unterschied gibt.
SPIEGEL: Beruhen die großen Erfolge der Physik nicht gerade auf dem Glauben an diesen Unterschied? Darauf, dass sich jedes Phänomen durch Gesetze erklären lässt, die sich wiederum auf noch grundlegendere Gesetze zurückführen lassen, bis man am Ende zur Weltformel kommt?
Laughlin: Das ist historisch falsch. Nehmen wir die Metallurgie. Sie ist ohne Zweifel von größter Bedeutung für unseren Alltag - um Autos, Flugzeuge oder Maschinen zu bauen. Und woraus besteht diese Wissenschaft? Aus nichts als schwarzer Magie. Sie wurde über Jahrhunderte entwickelt zu einer wirklich raffinierten Kunst. Aber sie beruht auf nichts als Kochrezepten.
Laughlin: Ganz im Gegenteil. Ich bin sogar überzeugt davon, dass die Moral der Physik in unserer heutigen Informationsgesellschaft von extremer Bedeutung ist.
SPIEGEL: Was meinen Sie mit Moral?
Laughlin: Dass die Physik Wahrheit bietet. Und mehr noch: Sie definiert Wahrheit.
SPIEGEL: Und was ist Wahrheit? Dass das Universum im Urknall entstanden ist?
Laughlin: Das ist Unfug. Viele Leute stellen mir quasireligiöse Fragen: Woher wir kommen, wie das Universum entstanden ist und so weiter. Da kann ich als Physiker nur antworten: Da bin ich kein Experte, ich bin einzig und allein ein Experte in Sachen Experiment und Messung.
SPIEGEL: Aber es gibt doch durchaus Messungen, die das Urknallszenario stützen: die Rotverschiebung des Lichts ferner Galaxien, die Verteilung von Wasserstoff und Helium im Universum …
Laughlin: … ja, und außerdem der Mikrowellen-Hintergrund. All das sind echte Daten. Aber das Urknallszenario ist nur eine Art Synthese daraus, eine Theorie.
SPIEGEL: Und was ist in Ihren Augen der Wert einer solchen Synthese?
Laughlin: Letztlich ist das nichts als Marketing. Wenn wir unseren Kindern etwas beibringen, dann reden wir zuerst von unseren Vorstellungen und Ideen, weil das leichter zu verstehen ist. Aber was für mich als Physiker wirklich zählt, das sind allein die Daten. Igor Strawinski wurde einmal gefragt, was er denn an Beethovens Symphonien so möge. Er antwortete: ,Alle diese kleinen Noten.’ Sehen Sie, so geht es mir mit der Physik.
SPIEGEL: Wundert es Sie, dass sich die Öffentlichkeit vor allem für die Fragen interessiert, die Sie quasireligiös nennen?
Laughlin: Nein, gar nicht. Deshalb gehört das Marketing ja auch dazu, wenn man bezahlt werden will. Wir werden noch sehr viel hören von diesem Warum-ist-das-Universum-so-wie-es-ist-Zeug.
SPIEGEL: Auch Sie selbst haben sich doch auch schon mit der Theorie Schwarzer Löcher befasst.
Laughlin: Oh ja, ich habe die Vermutung aufgestellt, dass es sich bei Schwarzen Löchern in Wirklichkeit um einen Phasenübergang der Raumzeit handelt …
SPIEGEL: … eine kühne These. Und wie weit ist die entfernt von einem experimentellen Test?
Laughlin: Sehr weit. Wahrscheinlich wäre das allenfalls möglich mit sehr großen Teleskopen auf dem Mond.
SPIEGEL: Was ist denn dann der Wert einer solchen Spekulation?
Laughlin: Gar keiner. Ich wollte provozieren. Denn ich bin es satt, in Seminaren zu sitzen und mir Spekulationen über Schwarze Löcher und Superstrings anzuhören. Niemand redet da über Experimente. Wer wirklich originelle Dinge hervorgebracht hat, der weiß: Du musst dich zu disziplinieren wissen. Rede nur über Dinge, die auch messbar sind.
SPIEGEL: War der Ärger über die StringForscher ein Anstoß für Ihr Buch?
Laughlin: Den Anstoß hat ein Foto in einer deutschen Zeitschrift gegeben. Zu sehen waren lauter String-Forscher, und es hieß, das seien die klügsten Leute der Welt …
SPIEGEL: … kann es sein, dass es sich um dieses Foto aus dem SPIEGEL handelt?
Laughlin: Oh, ja, ganz genau! Das hat mich verrückt gemacht, als ich es gesehen habe. Keine einzige Behauptung von diesen Typen ist durch ein Experiment gedeckt. Nicht ein einziger hat irgendetwas gesagt, das wahr ist! Und der König von allen ist er hier, Stephen Hawking. Ich habe gehört, dass ihm Frauen Babys bringen, damit er sie berührt. Dieser Mann hat einen Weg gefunden, sich zur kulturellen Ikone zu machen. Was für ein Typ! Da kann man nur sagen: Ja, insofern ist der wirklich einer der klügsten Leute.
SPIEGEL: Könnten Sie sich ein Foto vorstellen, auf dem Sie inmitten der Forscher sitzen, die Sie für die klügsten halten?
Laughlin: Nein, auf meinem Foto dürften nur Leute sein, die Dinge gesagt haben, die wahr sind. Und leider muss man sagen: Es wären sehr wenige. Ich weiß nicht, welches Glaubenssystem das beste ist, um in der Wissenschaft Fortschritte zu machen. Aber eines weiß ich ganz sicher: Egal, was Sie glauben, am Ende müssen Sie sich fragen: Mit welchem Experiment könnte ich beweisen, dass meine Lieblingsidee falsch ist. Und erst wenn dieses Experiment scheitert, haben Sie eine Chance, richtig zu liegen. Und genau das fällt schwer. Denn nicht selten hängt Ihre Karriere von der Richtigkeit Ihrer Idee ab.